Historischer Rückblick für das Jahr 2009
Jüterbog vor 100, 200, 300, 400 und 500 Jahren
1509 ist ein „tolles Jahr“, heißt es in verschiedenen alten Chroniken. Es gibt Bürgeraufstände in Konstanz, Schlettstadt und Schwäbisch-Hall. Das Wort „toll“ hatte damals eben noch eine andere Bedeutung als in der heutigen Umgangssprache. Man meint in dieser Zeit geistige Verwirrung damit. In Jüterbog ging es auch schon vor 500 Jahren ruhiger zu. Zwar bereiben die Raubritter Balzer von Otterstedt und Heinrich von der Liepe in der Umgebung von Treuenbrietzen Wegelagerei, doch aus Jüterbog gibt es lediglich die Nachricht, daß die Stadt auch schon damals knapp bei Kasse war. Bereits vor einem halben Jahrtausend lebt man auf Pump. Die Stadt borgt sich am 3. September von dem Magdeburger Bürger Asmus Moritz 1.700 rheinische Gulden mit einem jährlichen Zinssatz von 22 Silbergroschen pro Gulden, was 102 Gulden Zinsen im Jahr ausmacht. Alljährlich sollen am 8. September, an Nativitatis Mariae (Geburtstag der Muttergottes), aus den städtischen Einnahmen die Zinsen bezahlt werden, was der Erzbischof Ernst als Landesherr in einer Art Kommunalaufsicht bestätigt.
1609 beschädigt ein Sturm im Januar den „weißen“ Turm der Nikolaikirche. Schon 1577 und 1602 hatte man deshalb Probleme mit dem neuen Kirchturm. Doch auch in der großen Politik ziehen drohende Wolken auf. Denn in diesem Jahr erlischt der märkische Zweig (Kleve-Mark) des katholisch gebliebenen Herzogtums Berg, eine Herrschaft im Westen des Deutschen Reiches, wozu Ämter wie Düsseldorf, Mettmann, Monheim, Mühlheim und Solingen gehören. Es beginnt ein Erbstreit, der Feindschaften zunächst zwischen Sachsen und Brandenburg auslöst. Da auch das Ausland sich einmischt (Holland steht beispielsweise auf der protestantischen und die spanischen Niederlande auf der katholischen Seite) und inzwischen die protestantische Partei im Reich mit der „Union“ und die katholische Partei mit der „Liga“ jeweils eine militärische Organisation haben, wächst das Konfliktpotential. Der Dreißigjährige Krieg wirft seine Schatten voraus. Doch der drei Jahre später (1611) stattfindende Jüterboger Fürstentag wird noch einmal kurzzeitig zur Entschärfung beitragen.
1709 besetzt nach dem Sieg des Zaren Peter I. über die Schweden bei Poltawa eine sächsische Armee Polen. Da Jüterbog damals zu Sachsen gehört, wird die Stadt zumindest finanziell in Mitleidenschaft gezogen worden sein - nähere Nachrichten fehlen. Unter „Lokales“ wäre zu berichten, daß Levin Friedrich v. Hake den Gutshof Liepe, wo er selbst 1672 geboren wurde, zusammen mit dem Gutsbesitz Kaltenhausen an den Magister Christian Krackow verkauft, einem in Dahme geborenen Pfarrer, der die Güter bis 1715 halten wird. In Jüterbog wandelt der Amtmann Praetorius den Nonnenkirchhof bei der Liebfrauenkirche zu einem Garten um, wobei verschiedene Altertümer, wie Graburnen und Münzen zutage kommen.
1809 feiert am 12. Februar die Stadt Treuenbrietzen ein Dankfest für die Wiederherstellung des Friedens. Denn 1806 war Preußen bei Jena und Auerstedt von den Franzosen vernichtet geschlagen worden, was 1807 mit den Frieden von Tilsit besiegelt worden war. Aber der Frieden ist nur partiell und von kurzer Dauer. Am 9. April erklärt Österreich Frankreich den Krieg, der am 5./6. Juni bei Wagram mit einer Niederlage der Österreicher endet. Das sächsische Infanterie-Regiment von Low, das in Jüterbog stationiert ist, kämpft als Teil der Rheinbundtruppen an der Seite Napoleons gegen Österreich. Es wird damit letztmalig zu den Siegern gehören. Rußland und Preußen hatten Österreich im Stich gelassen, was preußische Patrioten in Aufruhr geraten läßt. Der in Berlin dienende Husarenmajor v. Schill beginnt am 28. April auf eigene Faust und gegen den Willen seines Königs einen Krieg gegen die französischen Besatzer. Am 1. Mai steht er mit seiner Schar in Wittenberg, muß sich aber, weil er hier keine Verbündeten findet, aus Sachsen zurückziehen. In Niemegk macht er Rast, wo ein Sprößling des städtischen Adelsherren mit ihm zieht. Doch nur wenige stellen sich an seine Seite. In einem letzten Gefecht fällt er in Stralsund. Elf seiner Offiziere werden am 16. September in Wesel erschossen. Österreich muß sich am 14. Oktober im Friedensschluß zu Preßburg dem Diktat Napoleons unterwerfen. Sachsen bekommt böhmische Enklaven in der Oberlausitz von Österreich übereignet, das Kernland Polens, das Herzogtum Warschau, wird um das österreichische Neu-Galizien vergrößert und zum Großherzogtum erhoben. Vier Jahre später werden polnische Ulanen an der Seite der Franzosen in Jüterbog und Dennewitz kämpfen In Preußen beginnen Reformen, die darauf abzielen, das Land für eine Befreiung von den französischen Besatzern vorzubereiten. Das macht sich in den preußischen Nachbarstädten des sächsischen Jüterbogs bemerkbar. Ab dem 19. November tritt dort die neue Städteordnung in Kraft. So wird aus dem Stadtgericht in Treuenbrietzen ein Königliches Gericht. In Luckenwalde erfolgt in der Johanniskirche die Vereidigung des ersten gewählten Magistrats und des Bürgermeisters auf den König von Preußen. Zu den Verwaltungsrichtlinien der Städteordnung gehört die Festlegung, daß keine Leiche mehr innerhalb der Stadt beerdigt werden darf, Begräbnisplätze müssen außerhalb der Wohngebiete liegen.
Das Jahr 1909 beginnt mit einem besonders strengen Winter. Die Zeit vor hundert Jahren steht lokalgeschichtlich ganz im Ausbau der Garnison, der Entwicklung Jüterbogs zu einer regelrechten Militärstadt. Der Kasernenkomplex von Jüterbog 2 wird weiter ausgebaut. Ein Weg, der bisher „Zum Schießplatz“ heißt, wird gepflastert und bekommt den Namen Kaiser-Wilhelm-Straße verliehen. (Nach 1945 muß die Straße mehrfach den Namen wechseln: Hauptstraße, Karl-Marx-Straße und nun Parkstraße.) Von Jüterbog gehen 1909 nur knapp 2 ha Fläche an den Militärfiskus, schlimmer sieht es für Mehlsdorf bei Luckenwalde aus. Ein Aktenpaket von 1909-12 zeigt, daß das Dorf damals schon völlig dem Schießplatzausbau geopfert werden soll, was sich letztendlich erst Mitte der 30er Jahre bewahrheitet. Doch größere Teile der Feldmark wird das Dorf schon in diesem und dem folgenden Jahr schon los. Eine 1909 erlassene Vorschrift für den Dienstbetrieb bei der Feldartillerie-Schießschule gibt einen detaillierten Einblick in dienstliche Abläufe bei der Truppe. Rings um den nördlich Jüterbogs gelegenen Schießplatz, der hundert Jahre später bei Geographieunkundigen „Jüterbog-West“ heißen soll, gibt es drei Signalmasten zur Absperrung des Platzes beim Scharfschießen. Jeweils ein großer farbig bemalter Weidenkorb, der an einer Stange hochgezogen werden kann, befindet sich auf den Wasserturm Altes Lager, an der Wache beim Neuen Lager und auf dem Fort der Fußartillerie, das sich am Nordende des Platzes befindet. „Diese Signale werden nach erfolgter Absperrung, etwa 1 Stunde vor Beginn des Schießens, hochgezogen, bleiben während des Schießens hoch und werden gleich nach Beendigung des Schießens herabgelassen“, heißt es in der Vorschrift. Auch das Absammeln von Blindgängern und Sprengstücken ist in dem Befehl geregelt. „Kugelsuchen wird von Lehr-Regiment befohlen und ist möglichst einmal wöchentlich… abzuhalten. Die Kugelsucher sammeln sich am Laboratoriumswald. Der älteste Unteroffizier jeder Batterie übergibt hierbei dem die Aufsicht führenden Offizier eine namentliche Liste sämtlicher zum Kugelsuchen kommandierten Unteroffiziere und Mannschaften… Jedes ganze Geschoß… darf von Finder unter keinen Umständen berührt werden… Die Fundstelle ist durch ein Fähnchen zu bezeichnen und dem Unteroffizier sogleich zu melden…“ Auch am Brandschutz ist der Truppe gelegen. „Das Rauchen im Walde außerhalb derjenigen öffentlichen Fahrwege, welche auf beiden Seiten durch Gräben gegen den Waldbestand abgegrenzt sind, ist nur aus Pfeifen mit geschlossenen Deckeln gestattet.“ Der beachtliche technische Fortschritt dieser Zeit spiegelt sich im Bereich der Artillerieschule und auf ihrem Schießplatz wider. Das stärkste Geschütz seiner Zeit, der 42cm-Mörser von Krupp, die „dicke Bertha“, wird zunächst in Kummersdorf und dann, weil dort der Platz zu klein ist, in Jüterbog erprobt. Am 29. August startet eines der ersten Luftschiffe, der Zeppelin Z-III, vom seinem Herstellungsort, der Werft in Friedrichshafen, in Richtung Berlin, wobei am 30. d. M. gegen 9.30 Uhr Jüterbog überquert wird. Im Laufe des Tages driftet das Schiff auf Wittenberg ab, wo es zu einer Notlandung kommt. Die Einstimmung auf einen möglichen Krieg erfaßt breite Teile der Bevölkerung. Am 18. April findet in Treuenbrietzen eine große Tagung der DRK-Sanitätskolonnen statt. Bei den Übungen wird in der Regel die Verwundetenversorgung nach kriegerischen Auseinandersetzungen geprobt. Nur wenig „Ziviles“ kann aus dem Jahr 1909 berichtet werden. So fällt der kleine viereckige Weichturm am Neumarkttor dem wachsenden Straßenverkehr zum Opfer. Auch das Torschreiberhäuschen ist der Straßenverbreiterung im Wege und wird abgerissen.